Kreuzheben: Unverzichtbar oder überschätzt?
Warum Kreuzheben als Übung so mächtig für den Muskel und Kraftaufbau ist und warum Sie in keinem Trainingsprogramm fehlen sollte erfahrt ihr hier.
Ist es ein Sakrileg die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer der großen Drei, der fundamentalsten Übungen im Kraftsport: Kniebeuge, Kreuzheben und Bankdrücken, zu hinterfragen? Nein! Warum sollte es?
„Alternativlos“ wurde 2010 zum Unwort des Jahres gewählt. Als Begründung hieß es, das Wort suggeriere „sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe“. Wer also behauptet, Kreuzheben sei alternativlos, impliziert mit dieser Aussage, dass es nicht möglich ist, die Übung einigermaßen sinnvoll zu ersetzen. Doch stimmt das?
Das große Plus: Hohe Komplexität
Zusammen mit der Kniebeuge ist das Kreuzheben wohl die Übung im gängigen Repertoire eines Kraftsportlers, deren Bewegungsablauf den Trainierenden aufgrund seiner Komplexität am meisten fordert. Was auf den ersten Blick einfach erscheint, „Hebe ein Gewicht vom Boden auf!“, erweist sich in der Praxis als durchaus anspruchsvoll. Das hat mehrere Gründe.
Zum einen erfordert das Kreuzheben eine enorme intermuskuläre Koordination. Knie- und Hüftgelenk arbeiten dynamisch, weiterhin involviert sind das Fußgelenk und stabilisierend die Wirbelsäule und nicht zuletzt das Schultergelenk. Die Vielzahl der beteiligten Gelenke ist der Grund dafür, dass unzählige Muskeln gleichzeitig arbeiten müssen, um die Bewegung auszuführen.
Eine kleine, nicht vollständige Auswahl? Das Aufrichten in der Hüfte wird primär durch den Gluteus Maximus erreicht, zudem arbeitet hier der Adductor Magnus mit. Die Inschiocruralmuskulatur, also die beinbeugenden Muskeln der Oberschenkelrückseite sind vor allem in der unteren Bewegungsphase als dynamische Stabilisatoren eingebunden. Die Streckung im Kniegelenk erfolgt durch den Quadriceps, wobei auch die Wadenmuskeln Soleus und Gastrocnemius einwirken. Während der Erector Spinae in der unteren Bewegungsphase gemeinsam mit den Bauchmuskeln Recuts Abdominis und Obliques den Rumpf stabilisiert, übernimmt er im Laufe der Bewegung zunehmend auch einen dynamischen Part. Die Stabilisation im Schultergelenk erfolgt primär über den mittleren Teil des Trapezius und die Rhomboiden, kurz vor der vollständigen Streckung wirken auch der obere Anteil des Trapezius und der Levator Scapulae ein. Nicht zu vergessen der Latissimus Dorsi, der die Stange nah am Körper hält.
Diese Vielzahl an involvierten Muskeln macht die Übung sehr effektiv, sowohl für den Aufbau von Muskeln und Kraft als auch im Sinne einer Fettverbrennung. Ferner ist der mögliche Übertrag in andere Sportarten und den Alltag hoch, da die Bewegung absolut natürlich ist und uns in vielen Situationen auch außerhalb des Gyms begegnet.
Letzter Punkt: Durch die vielen beteiligten Muskeln, darunter die größten und stärksten des Körpers, kann man bei dieser Übung sehr viel Last bewegen. Das ist zum einen schön für das eigene Ego, begründet aber vor allem die hohe Effektivität der Übung.
Wir sehen, es sprechen viele Punkte für das Kreuzheben. Doch schauen wir uns mal die Gegenseite an.
Das große Minus: Hohe Komplexität
Es ist keine Seltenheit und schon gar kein Widerspruch, dass die größte Stärke zeitgleich auch die ärgste Schwäche sein kann. Beim Kreuzheben handelt es sich um genauso einen Fall.
Die hohe Komplexität der Übung bringt nämlich einige Probleme mit sich. Zum einen ist da die hohe Anforderung an Konzentration und Körpergefühl des Trainierenden. Nebenbei Kreuzheben, das geht nicht. Doch ist das eine Schwäche? Sollte man beim Training nicht ohnehin mit dem Kopf bei seiner Übung sein? Durchaus, aber je nach Trainingsplanung kann das durchaus problematisch werden und genau das ist eigentlich das Kernproblem der Übung: Wohin mit ihr?
„An den Anfang des Rückentages“, argumentieren die einen.
„Hinter die Kniebeugen am Beintag“, argumentieren die anderen.
Für beide Sichtweisen gibt es gute Argumente und es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, die Übung zu platzieren. Ideal sind beide Ansätze aber nicht, zumindest dann nicht, wenn das Trainingsziel primär darin liegt, einen muskulösen Körper aufzubauen. Wer mit Kreuzheben in sein Rückentraining einsteigt und es mit der Übung ernst meint, der wird danach nicht mehr zu viel zu gebrauchen sein. Nach dem Kreuzheben noch vorgebeugt Rudern oder an die Klimmzugstange? Wohl kaum! Wer Kreuzheben ins Beintraining verlagert, muss schon extrem masochistisch veranlagt sein oder über unmenschliche Ausdauer verfügen. Nach schweren Kniebeugen dürften die meisten aber so platt sein, dass es schwer sein wird, die Kraft und Konzentration für Kreuzheben aufzubringen, zumal beide Übungen die gleichen Muskeln bearbeiten.
Ein weiteres Problem: Kreuzheben ist sehr fordernd, entsprechend braucht der Körper in der Regel auch ein paar Tage, um sich davon zu erholen. Das erschwert die Konzeption eines Trainingssplits enorm oder könnt ihr euch vorstellen, einen Tag nach dem Kreuzheben schon wieder zu beugen oder vorgebeugt zu rudern?
Jenseits dieser, nennen wir sie mal logistischen Probleme, sind der technische Anspruch, aber auch die erforderliche Mobilität sowie die Stabilität beachtlich. Ähnlich wie die Kniebeuge ist das Kreuzheben keine Übung, die man mal so eben macht, sondern eine, die intensives Techniktraining und das Einbinden von Hilfsübungen erfordert. Ein enormer Aufwand!
Fazit: Die Antwort liegt jenseits von schwarz und weiß!
Kreuzheben ist eine der besten Übungen, die es im Kraftsport gibt und mit wenigen verletzungsbedingten Ausnahmen für jeden Sportler eine Bereicherung. Dennoch ist sie nicht obligatorisch in jedem Trainingsplan. Natürlich: Sie zu ersetzen kann nur in Ansätzen und auch nur im Zusammenspiel einiger Übungen gelingen. Dennoch: Diese Möglichkeiten gibt es!
In den meisten Fällen ist das aber gar nicht notwendig, wenn man sich von der Vorstellung löst, Kreuzheben müsse zwangsweise schwer und zum Beginn eines Workouts absolviert werden. Wer keine Ambitionen im Bereich des Powerliftings hat, kann beispielsweise das Kreuzheben ans Ende eines Rückenworkouts legen. Natürlich ist dann nicht mehr so viel Kraft da, wie zu Beginn, aber dafür beeinflusst das Kreuzheben andere Übungen nicht negativ, die für das angestrebte Trainingsziel vielleicht nicht minder wichtig sind.
Es gibt viele Wege, Kreuzheben ins Training einzubetten. Grundsätzlich ist das auch eine gute Idee, denn überschätzt werden kann die Übung eigentlich nur hinsichtlich ihres Effekts auf die Rückenbreite im Sinne eines Bodybuilders. Dafür gibt es wahrlich bessere Übungen.
Autor: Thomas Koch www.ironhealth.de (Lizenzübernahme durch Übertragung Fitnessworld24.net auf Konzelmanns.de)